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Für Fach- und Führungskräfte

 
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Warum Intuition und Bauchgefühl uns manchmal in die Irre führen...
 
 
...und was wir dagegen tun können.
 
 
 
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
 
im vergangenen Monat gingen wir in unserem Newsletter der Frage nach, welche Rolle Intuition und das Bauchgefühl beim Entscheiden spielen. Eines wurde dabei klar: Unser Gehirn kommt ohne Intuition nicht aus. Da sie mit unserem Unbewussten eng ’verdrahtet’ ist, kann sie uns in vielen Situationen wertvolle Dienste erweisen und in Situationen, die durch einen Mangel an Informationen und durch Zeitdruck geprägt sind, ein unverzichtbarer Helfer sein. 

Keine Frage, wir brauchen intuitive Urteile und die automatisierte Reizverarbeitung, um unseren Alltag überhaupt bewältigen zu können. Zugleich stellt sich aber die Frage: Können wir unserem Gehirn vertrauen? Wie vertrauenswürdig sind Bauchgefühle? Sind sie tragfähig und kann man auf ihnen bauen? Oder sind sie nicht doch eher das Einfallstor für verzerrte Wirklichkeitswahrnehmungen, Fehlurteile, darauf basierende falsche Entscheidungen und, noch schlimmer, womöglich auch für Einflussnahmen und Manipulationen?

Psychologie oder Biologie?

Bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit von intuitiven Entscheidungen geht es vor allem darum, zu fragen, wie anfällig das schnelle und umtriebige System 1 beim Entscheiden ist. Es ist – wie an gleicher Stelle vor einem Monat ausgeführt – für intuitive Entscheidungen zuständig, ganz im Gegensatz zum System 2, das träge arbeitet und hinter unserem logischen, faktenbasierten Denken steckt. Der Kognitionspsychologe Daniel Kahneman, der diese beiden grundlegenden Funktionsweisen des Gehirns identifiziert und so benannt hat, wies damit darauf hin, dass intuitives Denken in unserer Psyche neurophysiologisch fest ’verdrahtet’ ist und nicht nur Ausdruck individueller psychologischer Präferenzen ist. 

Unconscious Biases bzw. kognitive Verzerrungen

Laut Kahneman ist unser Gehirn eine „Assoziationsmaschine“, die ständig nach uns vertrauten Mustern sucht und die jeweilige Situation daraufhin absucht. Dies macht uns anfällig für sogenannte kognitive Verzerrungen, deren wir uns selten bewusst sind. Es handelt sich dabei um Wahrnehmungs- und Urteilsfehler, die uns in unseren Entscheidungen beeinflussen. Statt stets logisch zu urteilen und rational zu entscheiden, wie es das in den Wirtschaftswissenschaften oft propagierte Ideal des Homo Oeconomicus nahe zu legen versucht, sind wir in unseren Entscheidungen beeinflussbarer und manipulierbarer, als wir oft denken. Einmal durch den Kontext unserer eigenen individuellen Psyche und Lebensgeschichte, zum anderen für andere, die sich unserer Anfälligkeit für kognitive Verzerrungen, für nicht hinterfragte Faustregeln (auch genannt „Heuristiken“) und andere psychische Mechanismen bedienen, um uns und unsere Entscheidungen zu beeinflussen. 

Die wichtigsten Mechanismen, die hinter unseren Trugschlüssen stehen

Die schlechte Nachricht: Man kann die Verzerrungen kaum vermeiden, da sie praktisch unter dem Radar unserer bewussten Wahrnehmung und unseres logischen Denkens passieren. Die gute Nachricht aber ist: Es kann helfen, Bescheid zu wissen und über die Mechanismen informiert zu sein, durch die wir beeinflussbar und manipulierbar werden. So gibt es zig unterschiedliche Unconscious Biases, wie die unbewussten kognitiven Verzerrungen in der Fachliteratur auch noch heißen. Da sie sowohl im privaten Bereich als auch im Job große Folgen nach sich ziehen können, habe ich es mir erlaubt, nachfolgend drei der wichtigsten und der am häufigsten auftretenden Verzerrungen und Wahrnehmungsfehler aufzuführen.

1. Priming oder Bahnung

Die Untersuchung von Priming oder Bahnung gehört zu den am meisten untersuchten Mechanismen der unbewussten Beeinflussung. So führte der Sozialpsychologe John Barth in den 90er-Jahren das berühmte Florida-Experiment durch. Zwei Probandengruppen sollten aus einer jeweils vorgegebenen Reihe aus Wörtern Sätze bilden, die eine Gruppe aus neutralen, die andere aus Worten, die mit hohem Alter verbunden waren. Danach wurden beide Gruppen jeweils angewiesen, in einen anderen Raum zu gehen. Das Ergebnis: Diejenige Versuchsgruppe, die Sätze aus den Greisen-Worten bilden musste, passierte den Gang viel langsamer als die Gruppe, die neutrale Worte als Vorlage erhalten hatte. 

Was hier geschieht, ist etwas wie eine Wahrnehmungs-Bahnung, eine Lenkung des Wahrnehmens, Erkennens, Fühlens und damit Verhaltens durch eine Assoziation. Etwas abstrakter ausgedrückt: Der Priming-Effekt entsteht oft dann, wenn die Verarbeitung eines aktuellen Reizes mit bestimmten Gedächtnisinhalten assoziiert wird und diese in uns aktiviert. Alt gleich Langsam, also führte die Aktivierung des Programms „Alt“ in der oben genannten Gruppe zu einem bestimmten, damit verbundenen Verhalten. Es ist mir zwar kein entsprechendes Experiment bekannt, ich bin aber sicher, dass dieser Effekt auch andersherum funktioniert. 

Mein Tipp: Vorsicht bei den Worten, die Sie wählen, ob privat oder als Führungskraft. Priming ist eine Kraft, die auch positive Seiten an sich hat. Wenn Sie Ihr Team zum Erfolg führen wollen, wählen Sie Begriffe, die bei Ihren Mitarbeitern oder Kollegen mit Erfolg assoziiert werden. Umgekehrt, vermeiden Sie, wo immer es geht, Wörter und Begriffe, die an Misserfolg und Versagen erinnern. Sonst könnte schnell das eintreten, was die Psychologe die Self Fulffilling Prophecy oder selbsterfüllende Prophezeiung nennt. 

Auch kann man das Wissen um die Macht des Primings zur eigenen Psychohygiene nutzen. Wie? Indem Sie im inneren Dialog negative Wörter wie „Ich Idiot“, „Ich Versager“, „das hast du dir selbst zuzuschreiben“ oder Ähnliches vermeiden. Wählen Sie stattdessen unbedingt eine wertschätzende Sprache und fokussieren Sie sich auf positive Umschreibungen und Aspekte Ihres Vorhabens. Damit rahmen Sie Ihr Vorhaben positiv ein und bahnen so Ihrem Gehirn eine Straße mit vorweggenommenem gewünschten Ziel. 

2. Der Ankereffekt

Der Ankereffekt hat nichts mit der Schifffahrt zu tun. Es ist vielmehr eine Form des Primings und gehört mit zu den bekanntesten kognitiven Verzerrungen. Da uns das Ankern privat und im Job auf Schritt und Tritt begleitet, gehört diese Intuitionsfalle unbedingt in diese Auflistung. Ankern bedeutet, dass wir durch eine vorher genannte oder (bewusst oder unbewusst) wahrgenommene Zahl in unserem Gehirn einen ’Anker’ setzen und unsere Schätzungen später an dieser Zahl ausrichten. Dies gilt auch dann, wenn die erste Zahl inhaltlich mit der zweiten nichts zu tun hatte. 

Es geht dabei aber nicht nur um Zahlen. Der Kognitionspsychologe Tobias Kalescher ging in seinem 2018 erschienenen Artikel „Die Neurobiologie der Urteilsbildung. Oder: Was hat das Frühstück mit richterlichen Entscheidungen zu tun?“ unter anderem auch der Frage nach, „welche neurobiologischen Faktoren diese Entscheidungs-Biases und kognitiven Verzerrungen beeinflussen“. Er bezieht sich dabei auf ein Experiment, in dessen Verlauf zwei Richtergruppen der exakt gleiche Fall vorgelegt wurde. Der einzige Unterschied: Der einen Gruppe wurde mitgeteilt, die Staatsanwaltschaft fordere eine Mindeststrafe von 12 Monaten, bei der anderen Gruppe lag diese fingierte Forderung bei 34 Monaten. Das Ergebnis: Diejenigen Richter, denen der höhere Anker genannt worden war, setzten das Strafmaß auf durchschnittlich 28,7 Monate fest, diejenigen mit dem niedrigeren Anker auf 18,78 Monate. Dies machte einen Unterschied von sage und schreibe 53 % aus. „Die Höhe der Forderung der Staatsanwaltschaft“, so der Autor abschließend, „hatte also tatsächlich Einfluss auf die Festlegung des Strafmaßes.“ Zusätzlich fand man heraus, dass unter anderem Anträge auf Strafaussetzung davon abhingen, ob die Richter ihren Morgensnack oder später ihr Mittagessen verzehrt haben oder nicht. Je stärker sie ernährungsphysiologisch in der Balance waren, umso ’gnädiger’ fielen ihre Bescheide aus und umgekehrt.

3. Selbstüberschätzung und exponentielle Entwicklungen

Selbstüberschätzung gehört auch zu den so häufigen kognitiven Verzerrung und somit zu den Fallstricken, denen unsere Intuition ausgesetzt ist. Abgesehen von der falschen Einschätzung eigener Kompetenz kommt sie oft in Situation zum Tragen, in denen ein Mangel an valider Information vorherrscht und somit Entwicklungen geschätzt werden müssen. Wo wir Menschen mit der Schätzung linearer Entwicklungen in der Regel kein Problem haben, lässt uns unsere Intuition meistens dann im Stich, wenn es um die Abschätzung exponentieller Entwicklungen geht. Zur Erinnerung: Exponentielles Wachstum bedeutet eine Verdoppelung bei jedem Wachstumsschritt, ausgehend vom jeweils letzten Stand. 

Dazu ein kleines Quiz: Seerosen auf einem Teich verdoppeln jeden Tag ihr Wachstum. Bis der See vollständig zugewachsen ist, dauert es 20 Tage. Die Frage lautet: Wie viele Tage benötigte der See, bis er zu 50 % zugewachsen war? Hand aufs Herz: Sagt uns unsere Intuition nicht sofort: am 10. Tag, also der Hälfte? Was sagen Sie spontan? Falls Sie sich vergewissern wollen, ob Sie richtig liegen, im Post Scriptum weiter unten finden Sie die richtige Antwort.

Das war es für diesen Monat mit dem spannenden Thema über intuitive Entscheidungen als Quelle für falsche Einschätzungen einer Situation und darauf basierende Entscheidungen. Es ist ein weites Feld, das ich hier lediglich anreißen konnte, um Ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Wenn ich Sie ein wenig gegen diese unbewussten Fehlleistungen wappnen konnte, umso besser. Auch ich denke, dass der beste Schutz gegen diese Fallstricke Information oder noch genauer: Informiertheit ist. Ich freue mich, wenn ich ein klein wenig dazu beitragen konnte. 

Wer sich übrigens für dieses Thema interessiert, wird dem Ankereffekt oder dem Priming auch in einem unserer Seminare in den Sektionen Persönlichkeitsentwicklung oder Marketing wieder begegnen, hier zum Beispiel im Seminar "Strategisches Preismanagement", das ja auch viel mit Ankern zu tun hat.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
 
Oliver Haberger
Dipl. Kfm. Univ.
Geschäftsführer 
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P.S.: Die richtige Antwort auf die Seerosenfrage lautet: der Tag davor. Denn am 9. Tag war der Teich zu 50 % zugewachsen, durch die Verdoppelung am Tag darauf schon zu 100 %. Diese Berechnung lässt sich zum Beispiel übrigens auch auf die Ausbreitung von Corona anwenden, aber auch auf Zinseszinsrechnungen, deren intuitive Schätzung uns spontan auch nicht leicht fällt.  
 
 
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